Die Naturhistorische Landessammlung beherbergt eine große Fossilien-Sammlung aus den sogenannten Mosbacher Sanden. Dabei handelt es sich um Zeugnisse aus dem Alt- und Mittelpleistozän. Die ältesten Funde sind mehr als 890.000 Jahre alt, die meisten Funde sind nur wenige 100.000 Jahre jünger. Der Name Mosbach stammt von einem heute nach Biebrich und 1929 dann nach Wiesbaden eingemeindeten Dorf (zwischen Stadtmitte und Biebrich). Dort wurden in zahlreichen Gruben Sande, Kiese und Kalke abgebaut (Gruben entlang der Biebricher Allee, Adolfshöhe). Später haben sich die Abbauflächen erweitert und nach Südosten verlagert, wo heute noch die Firma Dyckerhoff aus den miozänen Hydrobienschichten im Steinbruch Kastell den Portlandzement gewinnt. Heute wird der Begriff Mosbacher Sande für einen weit verbreiteten Fundhorizont verwendet (heutige Gruben u.a.: Kastel, Hessler, Am Hesslerkopf, Biebrich-Ost, Am Hambusch, Salzbachtal).
In das damalige Museum gelangten ab Mitte des 19. Jahrhunderts zahlreiche Fundstücke, die von Arbeitern und Interessierten geborgen werden konnten. Eine systematische Aufsammlung erfolgte damals noch nicht. Die erste Sammlung wurde dann von August Römer aufgebaut, dessen Sammlung dann dem Museum verkauft wurde. Sehr schnell wurden diese Zeugnisse einer vorzeitlichen Tierwelt über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Leider sind die Funde aber nur selten stratifiziert gesammelt worden, so daß die Zuordnung zu einem bestimmten Fundhorizont oft nicht mehr möglich ist.
Darüber hinaus finden sich in den eiszeitliche Flußsanden des Ur-Mains und Ur-Rheins keine zusammenhängenden Skelette, sondern ausschließlich einzelne Knochen und Zähne. Damit lassen sich diese Funde auch nicht in entsprechend imposanter Form den Museumsbesuchern präsentieren.
links: Blick in den Dyckerhoff-Steinbruch (Mosbachschicht oberhalb der roten Line) rechts: Mosbach-Hauptschicht, Fotos: Erhard Zenker
Wie ist es nun zu diesem Fossilreichtum gekommen? Vielen ist bekannt, daß im Mainzer Becken und dem Rhein-Main-Gebiet die beiden großen Flüsse Rhein und Main ihre Flußbetten oft verlagert haben. So erreichte beispielsweise der Ur-Main den Ur-Rhein weiter westlich. Damals muß es einen bis zu 20 km breiten, mäandrierenden Schwemmfächer am Ausgang des Ur-Maines gegeben haben. Die Fließgeschwindigkeit war im Vergleich zum Ur-Rhein deutlich herabgesetzt und oft kam es zu einem Rückstau des Wassers. Gleichzeitig lagerten sich durch die Senkung des Rheintalgrabens bzw. des Taunusvorlandes verstärkt Sedimente ab (später folgte eine Hebung, die für die heute noch gut sichtbare Terrassenbildung sorgte). Damit waren die Voraussetzungen für diese imposante Fossilienfalle gegeben. Einerseits blieben die in den Fluß geratenen fragmentierten Kadaver in diesem Schwemmfächer liegen. Andererseits zeigen die meisten Stücke geringe Abrollspuren, so daß man davon ausgehen kann, daß diese in unmittelbarer Nähe zu Tode kamen. Zahlreiche Verbißspuren und Verwitterungsanzeichen zeugen von den hier lebenden Raubtieren und Aasfressern, die die Kadaver entsprechend fragmentiert zurückließen.
Bis heute konnten mehr als 65 Säugetier-, 4 Vogel- und 152 Schnecken- und Muschelarten entdeckt werden (BRÜNING, 1980). Und auch zukünftig wird diese Fosslilagerstätte für Überraschungen sorgen. Die meisten der bisher nachgewiesenen Arten besitzen noch heute verwandte Formen in Eurasien und Afrika, so daß man (mit geringen Einschränkungen) auf Grund der Lebensgemeinschaft auf das damals vorherrschende Klima rückschließen kann. Natürlich hat sich diese insbesondere während des Pleistozäns (Eiszeitalter) ständig geändert und zeitweise herrschte ein im Vergleich zu heute wärmeres oder deutlich kälteres Klima. So findet sich beispielsweise in den Schichten Mosbach I und III eine Übergangsfauna mit Tieren eines eher atlantisch geprägten Klimas (Flußpferde) und denen eines eher kontinental beeinflußten Klimas (Steppenelefant, Ren, Moschusochse). Eine eher warmzeitliche Tierwelt findet sich in der Mosbach II - Schicht (mit Flusspferd, Muscheln gemäßigter Zonen, Kirchbergsches Nashorn, Reh), aber auch hier sind einige an kältere Klimate angepasste Tiere nachgewiesen, wie Ren und Moschusochse.
Darüber hinaus besitzt ein Flußsystem auch eine Fülle unterschiedlichster Lebensräume. Typische Waldbewohner waren viele Hirschartige, Schweine, Wisente, Bären und der Waldelefant. Von einer offenen Steppenlandschaft zeugen Steppenelefant, Etruskisches Nashorn und diverse Hunde- und Katzenvertreter. Aber auch typische Flußbewohner konnten nachgewiesen werden (Fische, Bisamspitzmaus, Fischotter und Biber).
Von den komplexen Verhältnissen zeugen die ständig wechselnden Aufschlussbedingungen in den Mosbacher Sanden und die zahlreichen Klimavariationen und dynamischen Prozesse der Flusssystme erschweren die Arbeit natürlich sehr. Maßgeblich für die wissenschaftliche Bearbeitung sind kontinuierliche und über längere Zeiträume hinweg stattfindende Dokumentationen, wie sie beipielsweise BRÜNING (Naturhistorisches Museum Mainz) und KELLER (Landesamt für Denkmalpflege Hessen) vorgelegt haben.
Bezüglich der Stratigraphie sei auf die Arbeiten von BRÜNING (1980) und KELLER (1994) verwiesen.
Fossilien aus den Mosbacher Sanden finden sich heute in vielen Museen, wie beispielsweise die von BRÜNING aufgebaute Sammlung im Naturhistorischen Museum Mainz (mit etwa 15.000 Stücken) und die noch heute im Aufbau sich befindende Sammlung von KELLER im Landesamt für Denkmalpflege Hessen (Schloß Biebrich). In der Naturwissenschaftlichen Sammlung im Museum Wiesbaden befindet sich die älteste Sammlung mit 1090 Stücken. Diese konnte inzwischen neu inventarisiert werden (jedes Stück ist EDV-erfaßt und digital fotografiert). Dank dieser Dokumentation können Wissenschaftler leichter auf das Material zurückgreifen und wir hoffen auf weitere interessante Ergebnisse. Die Datenbank und die Digitalfotografien können darüber hinaus auf CD-ROM käuflich erworben werden (zusammen mit der Dokumentation Steeden), besuchen Sie dazu unsere Verkaufsseite.
BRÜNING (1980) stellt auf Basis der 15.000 Stücke in Mainz eine Statistik für die Fundhäufigkeit der unterschiedlichen Säugetierfamilien vor. Die folgende Tabelle enthält dazu die Werte aus der MWNH-Sammlung in Wiesbaden.
Familie
|
Häufigkeit Mainz (%)
|
Häufigkeit MWNH (%)
|
Stücke abs. MWNH
|
|
Cervidae
|
29,6
|
20,5
|
223
|
|
Equidae
|
16,4
|
15,6
|
170
|
|
Bovidae
|
16,2
|
12,7
|
138
|
|
Suidae
|
0,7
|
0,4
|
4
|
|
Rhinocerotidae
|
7,5
|
9,2
|
100
|
|
Elephantidae
|
7,4
|
21,6
|
235
|
|
Ursidae
|
4,1
|
5,7
|
62
|
|
Castoridae
|
3,3
|
2,3
|
25
|
|
Hippopotamidae
|
1,2
|
0,8
|
9
|
|
Felidae
|
0,5
|
0,6
|
7
|
|
Canidae
|
0,3
|
0,4
|
4
|
|
Hyaenidae
|
0,2
|
0,3
|
3
|
|
sonstige
|
12,6
|
9,9
|
110
|
|
Die Sammlung in Wiesbaden verfügt zwar im Vergleich zu Mainz über weit aus weniger Fundstücke, allerdings sind von den 65 bekannten Säugetierarten mindestens 53 auch in Wiesbaden vertreten. Die Ergebnisse der Häufigkeitsverteilung korrelieren in fast allen Familien mit denen aus Mainz. Außnahme bilden die wesentlich häufiger vorkommenden Nachweise aus der Familie der Elefanten (21,6 % gegenüber 7,4 % in Mainz). Möglicherweise liegt der Grund dafür in der unterschiedlichen Entstehungsgeschichte beider Sammlungen.
Säugetiernachweise in der MWNH-Sammlung (Pleistozän)
- Bovidae
- Bison priscus (Steppenwisent)
- Bison cf. schoetensacki (Kleines Waldwisent)
- Bos primigenius (Aueroche, Ur)
- Canidae
- Canis lupus mosbachensis (Kleiner Mosbacher Wolf)
- Canis neschersensis (Wolf)
- Vulpes vulpes (Rotfuchs)
- Castoridae
- Castor fiber (Biber)
- Trogontherium cuvieri (Groß-Biber)
- Cervidae
- Alces latifrons (Breitstirnelch)
- Capreolus capreolus (Reh)
- Capreolus suessenbornensis (Süssenborner Reh)
- Cervus acoronatus (Kronenloser Rothirsch)
- Cervus elaphoides (Kronentragender Rothirsch)
- Cervus elaphus (Rothirsch)
- Dolichodoryceros spec. (Riesenhirsch)
- Megaloceros giganteus (Riesenhirsch)
- Megaloceros hibernicus (Riesenhirsch)
- Megaloceros spec. (Riesenhirsch)
- Praemegaceros verticornis (Breitschaufliger Alt-Riesenhirsch)
- Rangifer tarandus (Rentier)
- Cricetidae
- Cricetus frumentarius (Zwerghamster)
- Cricetus spec. (Hamster)
- Elephantidae
- Mammonteus primigenius (Mammut)
- Mammonteus trogentherii (Steppenelefant, Altmammut)
- Mammonteus spec. (Mammut)
- Palaeoloxodon antiquus (Waldelefant)
- Tetralophodon longirostris [Mastodontidae] (Mastodonvertreter)
- Equidae
- Equus caballus (Pferd)
- Equus mosbachensis (Mosbachpferd)
- Equus spec. (Pferdevertreter)
- Hipparion spec. (Zwergpferd)
- Felidae
- Panthera leo fossilis (Alt-Panther)
- Panthera spelaea (Höhlenlöwe)
- Hippopotamidae
- Hippopotamus antiquus (Alt-Flußpferd)
- Hippopotamus spec. (Alt-Flußpferd)
- Hyaenidae
- Muridae
- Lagomys spec. (Lemming)
- Mus spec. (Maus)
- Mustelidae
- Lutra lutra (Fischotter)
- Meles taxus (Dachs)
- Meles spec. (Dachs)
- Rhinocerotidae (Nashörner)
- Coelodonta antiquiatis (Wollnashorn)
- Dicerorhinus etruscus (Etruskisches Nashorn)
- Dicerorhinus kirchbergensis (Kirchbergsches-/Waldnashorn)
- Dicerorhinus spec. (Nashorn)
- Sciuridae (Hörnchen)
- Arctomys primigenius (Alt-Ziesel)
- Marmota marmota (Murmeltier)
- Marmota spec. (Murmeltier)
- Suidae (Schweine)
- Talpidae (Maulwürfe)
- Talpa europaea (Maulwurf)
- Ursidae (Bären)
- Ursus deningeri (Großer Mosbacher Bär)
- Ursus spelaeus (Höhlenbär)
- Ursus spec. (Bär)
Die Liste soll nicht darüber hinweg täuschen, daß etliche Stücke dringend einer wissenschaftlichen Bearbeitung zugeführt werden müssen und eine Revision noch bevorsteht. Wir hoffen, daß sich in den kommenden Jahren dafür Paläontologen finden lassen.
Danksagung
Herrn E. Zenker (Wiesbaden) und Herrn T. Keller (Landesamt für Denkmalpflege Hessen) sei für die Hilfe bei der Inventarisierung der Mosbach-Sammlung herzlich gedankt.
Literatur: (nur teilweise für diese Informationsseite ausgewertet)
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- Bahlo, E. & Malec, F. (1969): Insectivoren (Mammlia) aus den oberen Mosbacher Sanden (Mittelpleistozän) bei Wiesbaden-Biebrich/Hessen. - Mainzer Naturwissenschaftliches Archiv 8: 56-76; Mainz.
- Behlen, H. (1904): Glazialgeschrammte Steine in den Mosbacher Sanden. - Jahrbücher des Nassauischen Vereins für Naturkunde 57: 171-192; Wiesbaden.
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- Brüning, H. (1970): Zur Klima-Stratigraphie der pleistozänen Mosbacher Sande bei Wiesbaden (Hessen). - Mainzer Naturwissenschaftliches Archiv 9: 204-256; Mainz.
- Brüning, H. (1971): Mosbacher Miszellen. - Mainzer Naturwissenschaftliches Archiv 10: 223-237; Mainz.
- Brüning, H. (1978): Zur Untergliederung der Mosbacher Terrassenabfolge und zum klimatischen Stellenwert der Mosbacher Tierwelt im Rahmen des Cromer-Komplexes. - Mainzer Naturwissenschaftliches Archiv 16: 143-190; Mainz.
- Brüning, H. (1980): Die eiszeitliche Tierwelt von Mosbach, ihre Umwelt, ihre Zeit. - Museumsführer 6: 60 S.; Mainz.
- Edinger, T. (1929): Ein `fossiles Gehirn` aus den Mosbacher Sanden. - Jahrbücher des Nassauischen Vereins für Naturkunde 80: II 15-23; Wiesbaden.
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F. Geller-Grimm, 25.10.2001
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